Babylonisches Sprachengewirr in der Kommunikationsbranche
Als Gott sich einmal sehr über die Menschen geärgert hatte, weil sie versuchten gottgleich zu sein, indem sie den Turm zu Babel bauten, schickte er ihnen das so genannte babylonische Sprachengewirr und brachte das Projekt damit zu Fall. Aktuell sind es die Menschen selber, genauer gesagt die Kommunikationsbranche, die ein wildes Sprachengewirr inszeniert: Native Advertising, Product Placement, Content Marketing, Advertorials und einige Begrifflichkeiten mehr schwirren im Markt herum, die verwirrend wirken, aber alle eins gemeinsam haben: Es geht darum, den redaktionellen Raum zu besetzen.
Früher war das anders: Da gab es eine saubere Trennung zwischen dem redaktionellen und dem werblichen Raum in den Medien. Im TV und Radio gab es Sendungsformate auf der einen Seite und die Werbespots auf der anderen. In den Printmedien gab es die Artikel und die Anzeigen. Online gab es noch nicht. Es gab auch ein Medienrecht, das diese räumliche Trennung klar regelte. Letztlich ging es darum, den Zuschauer, Zuhörer oder Leser zu schützen: Er sollte klar erkennen können, was die redaktionellen und was die werblichen Inhalte sind.
Kampfzone redaktioneller Raum
Damit wird jetzt Schluss gemacht – zumindest teilweise scheint es so. Die neue Kampfzone ist der redaktionelle Raum. Dort wollen alle hin: Die PR-Leute von je her, aber jetzt auch massiv die Werber und SEOs. Das hatte schon die PR- und Werbelegende David Ogilvy im Sinn, als er einmal sagte, dass Werbung nicht wie Werbung aussehen müsse. Es hat aber über 50 Jahre gedauert, bis alle Dämme zu brechen scheinen.
Die digitalen Werbemodelle von heute versuchen konsequent ihre Werbung eng an die Inhalte anzuknüpfen. Und hier ist auch der Begriff „Native Advertising“ zuhause. „Native“ klingt irgendwie harmlos – so wie „native speaker“. So harmlos ist das Instrument aber nicht, will es doch, dass Werbung von nun an so redaktionell wie möglich aussieht. Es handelt sich also um Mimikry. Der Vordergrund verschmilzt mit dem Hintergrund und ist von diesem praktisch nicht mehr zu unterscheiden.
Für die Verlage, die sich jahrelang gegen diesen Trend gewehrt haben, verbindet sich damit die Hoffnung, endlich wieder genügend Einnahmen erzielen zu können, die zuletzt weder durch Print- noch durch Bannerwerbung erreicht wurden. Das heißt, die Burg ist sturmreif geschossen, der Widerstand der Verlage bröckelt massiv, die Werbung vom redaktionellen Raum möglichst fernzuhalten. Denn es geht ums nackte Überleben.
Deshalb gibt es neuerdings Angebote wie „sponsored posts“, wo thematische Seiten mit Verlinkungen angeboten werden. In Artikel werden Empfehlungen für Marken eingestreut oder am Fuße von Artikeln gibt es weitere Artikel mit Links, Fotos und Videos.
Die Kenntlichmachung dieser letztlich werblichen Inhalte im redaktionellen Umfeld ist medienrechtlich zwingend erforderlich (wie beim Advertorial), aber vieles läuft im Graubereich ab – beziehungsweise man macht es so, dass es dem Recht gerade noch genüge tut.
Fehlt es der PR an Selbstbewusstsein?
Die PR-Industrie muss aufpassen, dass ihr die (digitalen) Werber nicht das Terrain streitig machen. Wenn man sich jetzt viel offener als früher in den redaktionellen Bereich einkaufen kann, welche Zukunft hat dann noch die PR? Klar, Advertorials gibt es auch schon ein paar Tage. Aber die ungeheuren Weiten des digitalen redaktionellen Raums bieten ungeahnte neue Möglichkeiten.
Kann es sein, dass es der Public Relations momentan an Selbstbewusstsein und Ideen mangelt? PR hat immer auf den redaktionellen Bereich gezielt. Und dorthin kommt man mit Content – vor allem, wenn er journalistisch gut gemacht ist. Davon haben – neben den Journalisten selbst – die PR-Leute immer am meisten verstanden. Sie haben es meist sogar so gut gemacht, dass ihre Kunden für die Platzierungen nicht extra in die Tasche greifen mussten.
Jetzt aber bieten Verlage für ihren redaktionellen Raum offensiv „sponsored posts“ oder „Themenseiten“ an. Zwischen 20.000 € und 85.000 € werden hierfür als Preise aufgerufen. Das können sich natürlich nur große Consumer-Marken leisten, die angefangen haben, ihre Budgets von klassischer Werbung in diese Richtung umzuschichten.
Medienrechtliche Grauzone
Was bedeutet das für den Endverbraucher? Letztlich soll er den Unterschied zwischen redaktionellem und werblichem Inhalt nicht mehr merken. Medienrechtlich ist dieser neue Ansatz eine starke Dehnung dessen, was jahrzehntelang gegolten hat. Die Verfechter dieser neuen Werbeform sehen das natürlich anders und loben sie als Chance, dem Verbraucher Inhalte zu bieten, die thematisch neu und spannend aufbereitet daherkommen und vielfältige Verlinkungsmöglichkeiten bieten.
Es bleibt in jedem Falle interessant zu beobachten, wie sich die Kommunikationsbranche (und auch das Medienrecht) angesichts der neuen Werbeformen in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Weitere Informationen
Foto: Uwe Schmidt
Bildunterschrift: Uwe Schmidt ist Vorstand von Industrie-Contact (IC) mit Sitz in Hamburg sowie Past President & Head oft he Advisory Board of the Public Relations Global Network (PRGN)
1 Comment
Hallo,
aber, die sogennante Native Werbung, die als «gesponserte» gekennzeichnet, bringt vielen Websiten viel Geld.
Nicht wahr ?
Danke.